Teil 1 – Zwischen Verfassungsversprechen und sozialer Wirklichkeit
Wenn wir uns die Realität anschauen, müssen wir uns fragen: Ist die Menschenwürde wirklich noch unantastbar? Leben wir wirklich noch diese Grundsätze? Sind sie immer noch Bestandteil unserer Politik? Ist die Würde nicht meist am unantastbarsten, wenn es uns selbst betrifft? Was gelten Grundrechte und Menschenwürde heute noch in unserer Politik und in unserer Wirtschaft? Wieso müssen wir sie immer häufiger einklagen, oft bis vor das Verfassungsgericht? Was bedeutet es, wenn man nicht über die Möglichkeiten und Mittel verfügt, um sich und die eigenen Rechte rechtlich durchzusetzen? Was, wenn anhängige Verfahren verschleppt und oder auf den letzten Stapel im hintersten Winkel zum jahrelangen Verstauben gelegt werden? Was, wenn Richter nach ihrer parteipolitischen Ausrichtung entscheiden?
Deshalb:
WAS SIND DIE GRUNDRECHTE UND DIE MENSCHENRECHTE HEUTE NOCH WERT?
Die Grundrechte
Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.Konrad Adenauer
Artikel 1
Schutz der Menschenwürde, Menschenrechte, Grundrechtsbindung
Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes garantiert die Menschenwürde und legt fest, dass sie unantastbar ist. Die Verpflichtung, die Menschenwürde zu achten und zu schützen, obliegt allen staatlichen Organen und bildet die Grundlage für alle weiteren Grundrechte.
Artikel 1 wird als das wichtigste Grundrecht angesehen und bildet die Grundlage für viele andere Grundrechte. Die Menschenwürde ist nicht nur ein Rechtsbegriff, sondern auch ein ethisches Prinzip, das die Grundlage für eine menschliche Gesellschaft bildet.
Artikel 1 ist keine Absichtserklärung, sondern eine verfassungsrechtlich bindende Norm, die in der sogenannten „Ewigkeitsgarantie“ des Art. 79 Abs. 3 GG ausdrücklich vor Abänderung geschützt ist. Theoretisch.
Absatz 1
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen und zu achten ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Das klingt doch jetzt bereits schon mindestens nach Moses mit den göttlichen Geboten. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen wie frische Erdbeeren mit Schlagsahne.
Die Menschenwürde ist das höchste Gut im deutschen Grundgesetz und wird als unveräußerlich und unverletzlich angesehen. Sie gilt für jeden Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion, sozialem Status oder sonstigen Merkmalen.
Selbst der Gesetzgeber, damit die Politik samt ihren amtierenden Politikern darf die Menschenwürde nicht antasten. Es gibt keine Abwägungen, es kann nicht relativiert werden, das Menschenrechtswürdegesetz ist verbindlich und unveränderlich.
Jeder einzelne Mensch ist Besitzer der Menschenwürde. Und das sogar unabhängig von seinem körperlichen und geistigen Zustand, unabhängig von seinen Leistungen und unabhängig von seinem sozialen Status. Selbst, wenn ein Mensch sich dieser Würde gar nicht oder noch nicht oder nicht mehr selbst bewusst ist, steht sie ihm zu. Ohne Wenn und Aber.
Und auch dann – wenn wir meinen, dieser oder jener hätte sie nicht verdient.
Zur Menschenwürde gehört auch das Sozialstaatsprinzip. Das heißt, ein menschenwürdiges Dasein muss zumindest gewährleistet werden. Dazu gehört das Existenzminimum und dieses darf ihm nicht entzogen werden. Wenn einem Menschen die finanziellen Mittel fehlen hat er einen verfassungsrechtlichen Leistungsanspruch. Dazu gehören: Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung und Hygiene, Gesundheit, die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.
Dies muss durch ein sachgerechtes, transparentes Verfahren realitätsnah am tatsächlichen Verbrauch bemessen sein.
Wie sieht es denn hier mit der Realität aus? Ist das wirklich so? Darauf werde ich später noch näher eingehen?
Ein Existenzminimum, das nur das bloße Überleben absichert, wäre verfassungswidrig.
Schon die Berechnung des Existenzminimums ist nur zum Teil Berechnung, sondern auch von Auslegung, sozialer Einstellung und politischem Willen geprägt. Ein Recht auf Bildung gibt es im Grundgesetz allenfalls indirekt. Dabei ist Bildung ein zentraler Bestandteil von Würde – ohne Bildung keine Selbstbestimmung, keine politische Teilhabe, kein Aufstieg aus Armut. Dennoch fehlt im Grundgesetz ein ausdrückliches Recht auf Bildung. Die a/b/c-Ergänzungen der Artikel sowie die Ausgestaltung des gesamten Grundgesetzes zeigen bereits: Der Schutz der Menschenwürde ist nicht einfach ein Leuchtturm ohne Nebel – sondern eingebettet in ein System von Abwägungen, Differenzierungen und leider auch rechtlichen Auslegungsspielräumen.
Was wir sehen:
DIE WÜRDE DES MENSCHEN IST RELATIVIERBAR
In weiteren Teilen werde ich auf die Ursachen dieser Relativierbarkeit eingehen.

