Das Elend mit der Altersarmut

Altersarmut ist heute eine wichtige gesellschaftliche Herausforderung in Deutschland und betrifft zunehmend ältere Menschen aus unterschiedlichen sozialen Gruppen. Viele Faktoren – Rentenniveau, Erwerbsbiographien, Wohnkosten und gesellschaftliche Veränderungen – begünstigen das Risiko, im Alter von Armut betroffen zu sein.
Aber – Altersarmut betrifft nicht nur die finanziellen Ressourcen älterer Menschen, sondern hat auch weitreichende soziale und psychologische Folgen. Hier sind einige zentrale Aspekte der Folgen von Altersarmut und wie ältere Menschen in der Gesellschaft oft gegen die Jugend ausgespielt werden:

Definition

Altersarmut bezeichnet eine finanzielle Unterversorgung älterer Menschen, oft gemessen am Anteil der Personen ab 65 Jahren, deren Einkommen unterhalb der Armutsgrenze liegt. Ursachen sind unter anderem niedrige Renten infolge unterbrochener Arbeitsverhältnisse, Teilzeit, Minijobs, längere Erwerbslosigkeit sowie die steigenden Lebenshaltungs- und Wohnkosten.


Nennen wir sie Gisela. Zeit ihres Lebens war sie für andere da. Sie hatte sehr jung geheiratet – kurz nach dem sie ihre kaufmännische Lehre beendet hatte. Ihr Mann studierte damals BWL. Die Kinder kamen und Gisela konnte nur noch Teilzeit arbeiten. Sie musste sich um die Kinder kümmern und ihrem Mann den Rücken freihalten.
Hartmut war kein schlechter Mann. Er behandelte sie anständig. Er war nur nie da. Und irgendwann kam er überhaupt nicht wieder. Er hatte sich anderweitig verliebt.
Sie versuchte sich und ihre Kinder über Wasser zu halten – mit schlecht bezahlten Teilzeitjobs und gleichzeitig ihren Kindern gerecht zu werden. Sie sollten lernen und nicht unter die Räder kommen.
Kaum waren die Kinder aus dem Haus – und tatsächlich hatten alle eine Ausbildung gemacht – wurde ihre Mutter pflegebedürftig. Ihr Vater war bereits verstorben. Sie nahm die Mutter bei sich auf und pflegte sie liebevoll.
Heute ist Gisela 73 Jahre alt. Ihre monatliche Rente reicht kaum für Miete, Nebenkosten und Lebensmittel. Wenn etwas im Haushalt kaputt geht, ist das beinahe eine Tragödie. Zu ihren sozialen Aktivitäten gehört ab und zu ein Spaziergang in den nahegelegenen Park. Dort füttert sie die Enten und manchmal ein paar Tauben. Gerne hätte Gisela eine eigene Katze gehabt, aber dafür reicht es nicht. Schon jetzt bleibt zum Monatsende nichts mehr.

Zahlen und Trends

Der Anteil gefährdeter Seniorinnen und Senioren in Deutschland ist in den letzten Jahren gestiegen: Rund 17,4 Prozent der über 65-Jährigen waren 2023 von Armut bedroht. Frauen sind besonders betroffen, da sie häufiger Teilzeit gearbeitet haben und längere Erziehungszeiten einbezogen sind. Zuwanderer und Alleinlebende gehören zu weiteren Risikogruppen.

Ursachen

GruppeArmutsgefährdung (%)Hauptursachen
Frauen über 6520%Teilzeit, Erziehungszeiten, Pflege Angehöriger,
Niedriglohnsektor
insbesondere Alleinerziehungszeiten
Männer über 65ca. 14%Geringe Renten, Arbeitslosigkeit
Alleinlebende>20%Niedriges Haushaltseinkommen
Zuwandererbis 28%Geringere Beitragsjahre, Diskriminierung
  • Krankheit und Behinderung: Gesundheitsprobleme können dazu führen, dass Menschen während ihrer Erwerbsjahre weniger arbeiten oder ganz aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, was wiederum die Rentenansprüche verringert.
  • Alternde Gesellschaft: Die steigende Lebenserwartung führt dazu, dass immer mehr Menschen länger in Rente sind, was die Rentenkassen belastet und die finanzielle Situation vieler älterer Menschen verschärft.
  • Weniger Unterstützung durch Familien: In vielen Kulturen gibt es weniger familiäre Unterstützung für ältere Angehörige. Dies kann zu finanziellen Engpässen führen, insbesondere wenn ältere Menschen auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen sind.
  • Bildung und Qualifikation: Ein niedriger Bildungsstand führt häufig zu schlecht bezahlten Jobs, was sich negativ auf die Rentenansprüche auswirkt. Ältere Menschen haben oft nicht die Möglichkeit, sich weiterzubilden oder umzuschulen, was ihre Beschäftigungschancen verringert.

Gesellschaftliche Folgen

Altersarmut bedeutet Einschränkungen bei Lebensqualität, Gesundheit, Teilhabe und Wohnsicherheit. Viele Betroffene nehmen weniger am sozialen Leben teil, verzichten mehr oder weniger freiwillig auf Gesundheitsleistungen und wichtige Medikamente oder müssen in schlechtere Wohnungen ziehen. Dies fördert gesellschaftliche Isolation und verstärkt gesundheitliche Risiken.

Leopold leidet sehr unter seiner Situation. Mit 56 wurde er entlassen. Nicht nur er, noch viele seiner Kollegen. Die Autobranche schwächelt. Anfangs glaubte er noch daran, mit seiner guten Techniker-Ausbildung eine neue Arbeitsstelle zu finden, aber nach einigen Jahren und unzähligen Bewerbungen gab er auf.
Viele Firmen hatten nicht einmal den Anstand abzusagen.
Sie schwiegen einfach.
Heute ist Leopold 69. Er lebt allein mit seinen zwei Wellensittichen. Familie hat er keine mehr.
Seine Rente ist gering, zusätzliche Ersparnisse fehlen – die Waschmaschine dürfte nicht kaputtgehen. Regelmäßige Besuche beim Zahnarzt kann er sich nicht leisten. Frisör und Fußpflege auch nicht. So versucht er allein, was geht – mit eher mäßigem Erfolg.
Nachts kann er kaum schlafen. Die Angst vor weiter steigenden Preisen belastet ihn sehr. Und was passiert, wenn er sich irgendwann die Miete nicht mehr leisten kann?

Viele ältere Menschen leben in prekären finanziellen Verhältnissen, was zu einem Mangel an Grundbedürfnissen wie Nahrung, Wohnraum und medizinischer Versorgung führen kann.
Altersarmut kann dazu führen, dass Senioren gezwungen sind, bis ins hohe Alter weiterzuarbeiten, oft unter schlechten Bedingungen und für niedrige Löhne.
Altersarmut verstärkt vielfach soziale Isolation, da die älteren Menschen aufgrund finanzieller Einschränkungen nicht an sozialen Aktivitäten teilnehmen können.
Einsamkeit und Isolation haben negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden und können zu einem Rückgang der Lebensqualität führen.

Mediale Darstellungen

In den Medien werden ältere Menschen häufig als Last für die Gesellschaft dargestellt, was ein negatives Bild fördert und zu einer Spaltung zwischen den Generationen führt.
Diese Stereotypen können dazu führen, dass jüngere Menschen Vorurteile gegenüber älteren Menschen entwickeln.

Politische Instrumentalisierung

Es entstehen Konflikte über die Verteilung von Ressourcen, z. B. in Bezug auf Renten, Gesundheitsversorgung und Wohnraum, die oft als Ältere gegen Jüngere ausgetragen werden. Diese Konflikte können das soziale Miteinander und den Zusammenhalt in der Gesellschaft massiv gefährden.
In politischen Diskussionen werden ältere Menschen manchmal als Wählergruppe instrumentalisiert, um die jüngere Generation zu diskreditieren, z. B. durch die Behauptung, dass jüngere Menschen nicht die gleiche Verantwortung übernehmen.
Oft wird behauptet, dass staatliche Ressourcen in den Sozialstaat für Ältere investiert werden, was von den Bedürfnissen der Jugend ablenken kann.
Durch die Darstellung eines Konflikts zwischen den Generationen können Politiker von anderen politischen Themen ablenken und den Fokus auf die Unterstützung der älteren Wählerschaft lenken.

Mangelnde Wertschätzung

Die Folgen davon sind, dass ältere Menschen immer häufiger nicht als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen werden, was zu einem Mangel an Respekt und Wertschätzung führt. Dadurch wächst das Gefühl der Entfremdung und das Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz und Integration wird verstärkt.

Soziale Spaltung

Die Schaffung eines Gegensatzes zwischen Generationen kann politische Unterstützung für bestimmte Programme oder Gesetze stärken. Politiker können dies nutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben, indem sie die Ängste oder das Misstrauen der älteren Wähler schüren.
Die Fokussierung auf Konflikte zwischen den Generationen kann von anderen dringenden gesellschaftlichen Herausforderungen ablenken, wie etwa der wirklichen Bekämpfung von Armut, sozialer Ungleichheit oder der Notwendigkeit, die Renten- und Sozialsysteme anständig zu reformieren – und das Lohnniveau soweit anzuheben, dass sich eine lebenswerte Rente daraus ergibt.

Gülsün ist 67 Jahre alt. Sie kam erst mit Mitte 40 nach Deutschland. Sie hat geputzt. Tagaus, tagein. Manchmal auch 10 oder 12 Stunden. Ihre Hände sind verbraucht, ihr Rücken schmerzt. Sie kann nicht mehr. Sie erhält seit einem Jahr Rente. Eine sehr kleine Rente. Sie konnte nicht lange genug in die Rentenversicherung einbezahlen. Gülsün muss ihre Rente aufstocken. Sie kauft nur das Nötigste im Supermarkt. Sie spart beim Heizen. Gesellschaftliche Teilhabe ist überhaupt nicht möglich.
Zudem erfährt sie Ablehnung und Feindseligkeiten, die sie immer mehr zuhause isolieren. Ihre einzigen Ablenkungen sind der TV und einmal in der Woche ein Telefonat mit ihrer Schwester in der Türkei.

Eingewanderte Menschen

Viele eingewanderte Seniorinnen und Senioren sind in besonderem Maße von Altersarmut betroffen. Gründe sind kürzere Versicherungszeiten, häufige Beschäftigung in körperlich harten und schlecht bezahlten Tätigkeiten sowie mangelnde Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen.
Oft haben sie jahrzehntelang in Bereichen gearbeitet, die kaum soziale Absicherung boten – Reinigungsdienste, Bau, Gastronomie, Pflege. Hinzu kommen Sprachbarrieren, fehlender Zugang zu Weiterbildung und Diskriminierungserfahrungen. All das führt dazu, dass selbst nach einem arbeitsreichen Leben keine ausreichende Altersvorsorge vorhanden ist.
Die Folge: Viele müssen Grundsicherung beantragen, leben zurückgezogen und haben kaum Zugang zu kultureller oder gesellschaftlicher Teilhabe. Damit verstärken sich Isolation und das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Politische Maßnahmen

Die Bundesregierung hat in den letzten Jahren Reformen wie die Grundrente eingeführt, um Altersarmut entgegenzuwirken. Dennoch werden zusätzliche Maßnahmen gefordert, etwa Verbesserungen beim Wohngeld, eine Erhöhung des Rentenniveaus oder gezielte Unterstützung für von Armut besonders betroffene Gruppen.
Davon abgesehen, führt auch die „Grundrente“ in Deutschland nur zu neuen Abhängigkeiten und diskriminierenden Lebensumständen.

Notwendige Schritte

Altersarmut ist kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck gesellschaftlicher und politischer Strukturen. Sie entsteht durch ungleiche Erwerbsbiografien, Niedriglöhne, mangelnde Anerkennung von Care-Arbeit und durch fehlende Absicherung für Menschen mit Migrationsgeschichte.

Um Altersarmut wirksam zu bekämpfen, braucht es mehr als symbolische Reformen:

  • Erhöhung des Rentenniveaus und Sicherung von Rentenansprüchen oberhalb des Existenzminimums.
  • Faire Bezahlung im Niedriglohnsektor, damit sich Arbeit später tatsächlich in der Rente widerspiegelt.
  • Anerkennung von Care-Arbeit und Pflegezeiten, die überwiegend von Frauen geleistet werden.
  • Bessere Integration eingewanderter Menschen in das Rentensystem, u. a. durch eventuelle Anrechnung von Arbeitszeiten im Herkunftsland.
  • Leichtere Anerkennung ihrer mitgebrachten Berufsqualifikationen.
  • Bezahlbarer Wohnraum als entscheidende Grundlage, um Altersarmut zu verhindern.
  • Mehr gesellschaftliche Teilhabe durch kulturelle, nachbarschaftliche und gemeinnützige Angebote, die niemanden ausschließen.

Nur wenn Armut im Alter als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird, lässt sich die Spaltung überwinden. Altersarmut darf nicht länger ein Schicksal sein, das viele nach einem langen Arbeitsleben erwartet.

Quellen:

  1. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Entwicklung_der_Altersarmut_bis_2036.pdf
  2. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/BST_Studie_Altersarmutsstudie_II_final.pdf
  3. https://de.statista.com/themen/11967/altersarmut/
  4. https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/armutsbericht_2025_web_fin.pdf
  5. https://www.bpb.de/themen/soziale-lage/rentenpolitik/288842/altersarmut/
  6. https://www.beatvest.com/blog/mit-welcher-rente-gilt-man-als-arm
  7. https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/altersarmut-strategien-100.html
  8. https://www.bagso.de/fileadmin/user_upload/bagso/06_Veroeffentlichungen/2025/BAGSO_Positionspapier_Armut-im-Alter.pdf
  9. https://arbeitgeber.de/themen/sozialpolitik-und-soziale-sicherung/altersarmut/
  10. https://www.marktforschung.de/marktforschung/a/altersvorsorge-monitor-2025-grosse-angst-vor-altersarmut/