Eine Welt auf Augenhöhe – Teil 6

Gaslighting

Wer hat solche Sätze – wie …

  • „Das bildest du dir nur ein.“
  • „Du regst dich über nichts auf.“
  • „Du machst aus einer Mücke einen Elefanten.“
  • „Du nimmst immer alles gleich so persönlich.“
  • „Das habe ich nie gesagt.“
    … noch nie gehört – oder selbst unbedacht gesagt?

Einzelne Missverständnisse passieren überall. Kritisch wird es, wenn solche Aussagen kein Zufall mehr sind, sondern sich wiederholen – gezielt und systematisch.

Gaslighting beginnt dort, wo Worte nicht klären, sondern verletzen und verunsichern:

  • „Immer verdrehst du alles.“
  • „Du denkst ja nicht ganz klar.“
  • „Niemand sonst würde dich jemals lieben.“
  • „Ich glaube, du brauchst dringend Hilfe.“
  • „Wenn du mich lieben würdest, …“
  • „Du bist doch total paranoid.“

Gaslighting ist kein einmaliger Fehltritt – es ist ein systematisches Muster.
Gezielte Einschüchterung, ständige Kritik, bewusstes Lügen oder Leugnen werden bewusst eingesetzt werden, um andere zu manipulieren, herabzuwürdigen, zu kontrollieren, zu demütigen und Macht auszuüben.
All das führt dazu, dass Betroffene an ihrem Verstand und ihren Gefühlen zweifeln. Gaslighting schreit nicht. Es bringt langsam zum Schweigen.

Es geschieht nicht nur mit Worten: Gegenstände verschwinden und tauchen an anderer Stelle wieder auf. Dinge gehen kaputt oder werden verstellt – ohne ersichtliche Ursache.

Was Gaslighting nicht ist:

  • Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist Gaslighting.
  • Es ist keine einmalige Unachtsamkeit, sondern ein gezieltes Muster.
  • Es hat meist ein Machtgefälle: Ein Partner, Vorgesetzter, Elternteil etc.

Gaslighting kann überall und jedem passieren und ist kein Zeichen von Dummheit, Naivität oder Schwäche.
Auch Kinder können Ziel sein – durch Eltern, Verwandte, Lehrer oder Betreuer, indem ihnen absichtlich suggeriert wird:

  • sie seien unzugänglich
  • sie würden alles falsch machen
  • sie seien wertlos
  • und nicht liebenswert.

Auch in Freundschaften oder unter Arbeitskollegen – im Zusammenhang mit Mobbing – ist Gaslighting ein probates Mittel.
Besonders häufig kommt es jedoch in engen Beziehungen und Partnerschaften vor.
Aus einer anfangs liebevollen Beziehung kann so ein Alptraum werden.

Woher kommt der Begriff „Gaslighting“?

Das Schauspiel Gas Light (Gaslicht) des Dramatikers Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938 prägte den Begriff „Gaslighting“.
Das Stück ist ein Paradebeispiel für psychologische Manipulation und Machtmissbrauch in Beziehungen.
Es zeigt sehr eindrücklich wie Gaslighting funktioniert und wie ein Täter – durch falsche Informationen und durch ständige Infragestellung der Realität – versucht, sein weibliches Opfer an ihren Erinnerungen und Sinneseindrücken zweifeln zu lassen, ihr Selbstbewusstsein langsam zu zerstören und sie in den Wahnsinn zu treiben.

Inhalt in Kürze:

Das Stück spielt im viktorianischen London, in einem düsteren Wohnzimmer. Es erzählt die Geschichte von Bella, die zunehmend das Gefühl hat, ihren Verstand zu verlieren. Ihr Ehemann Jack manipuliert sie gezielt: Er versteckt Gegenstände, lässt sie an ihrem Gedächtnis zweifeln, spricht ihr Wahrnehmungen ab. Immer wieder sagt er ihr, sie bilde sich Dinge nur ein. Besonders verstörend ist das Flackern des Gaslichts, das Bella wahrnimmt – Jack behauptet jedoch, sie sehe Gespenster.

Hinter all dem steckt Jacks Plan:

Die Wohnung über Jacks und Bellas Wohnung wurde einst von Alice Barlow bewohnt, die wegen ihrer Juwelen ermordet wurde, die aber nie gefunden wurden.
Jack will Bella für verrückt erklären lassen, um ungestört einen früheren Mord zu vertuschen und nach den versteckten Juwelen im Haus zu suchen.
Er entzündet das Gaslicht, dabei wird es im übrigen Haus dunkler. Seine Schritte im leeren Apartment lassen Bella glauben, sie höre Dinge.
Die Situation kippt, als ein Inspektor auftaucht, der Jack schon länger verdächtigt. Er klärt Bella auf, dass sie nicht wahnsinnig ist – die Manipulationen sind real. Schließlich durchschaut Bella die Täuschungen, und Jack wird überführt.

Gas Light zeigt eindrücklich, wie psychologische Manipulation funktioniert: Die eigene Wahrnehmung wird in Frage gestellt, bis man mehr dem Täter glaubt als sich selbst.

Es gibt Fälle, bei denen entscheidet sich ein Mensch nicht bewusst zum gaslighten. Manche kompensieren damit eigene Unsicherheiten, Probleme, Selbstwertstörungen oder Traumata. Ihnen ist möglicherweise gar nicht klar, dass sie ihren Mitmenschen damit schaden. Doch das macht es nicht harmloser.

Gaslighting und Patriarchat

Die patriarchale Struktur liefert die Erzählung. Gaslighting ist nicht nur ein persönliches oder psychologisches Phänomen – es ist auch ein Werkzeug zur Durchsetzung patriarchaler Kontrolle.

1. Es stützt patriarchale Rollenbilder

  • Im Patriarchat gelten Männer oft als vernünftig, dominant und entscheidungsfähig.
  • Frauen oder queere Personen gelten als emotional, irrational oder übertrieben.

Gaslighting knüpft daran an: „Du bist zu empfindlich. Du übertreibst.“ Es nutzt und entwertet die Position von Betroffenen und deren Wahrnehmung.

2. Es stabilisiert Machtgefälle

Patriarchale Systeme leben von Hierarchien: Wer spricht, wer entscheidet, wem wird geglaubt. Gaslighting dient dazu, Macht zu sichern, ohne dass es wie Gewalt aussieht:

  • In Partnerschaften
  • In männlich dominierten Arbeitskontexten
  • In Institutionen, in denen autoritäre Männlichkeit als Norm gilt

3. Es funktioniert im patriarchalen Klima besonders gut

Warum glauben so viele Menschen dem Täter – und nicht der Betroffenen?

Weil das Patriarchat die Erzählungen vorgibt:

  • „Sie übertreibt.“
  • „Er hat das nicht so gemeint.“
  • „So schlimm war es sicher nicht.“

Das soziale Klima, in dem Gaslighting auf fruchtbaren Boden fällt, ist patriarchal.

Gaslighting ist ein Symptom. Und es funktioniert, weil das Patriarchat den Boden dafür bereitet hat.

Man wird nicht geschlagen oder bedroht – Gaslighting ist eine Form psychischer Gewalt. Die ständige Infragestellung der eigenen Wahrnehmung kann schwere Folgen haben: Verlust des Selbstwertgefühls, Depressionen, Angststörungen bis hin zu Suizidgedanken.

Es geht dabei fast immer um Kontrolle: den anderen abhängig zu machen –
oder gezielt zu zerstören.

Gaslighting säht Zweifel. Gaslighting nimmt Stimmen. Gleichstellung gibt sie zurück.
Wo patriarchale Strukturen Schweigen erzeugen, schafft Augenhöhe Vertrauen.
Und wo Menschen einander aufrichtig zuhören, entsteht die Grundlage für Respekt – in Beziehungen, Familien, Institutionen.

Eine Welt auf Augenhöhe bedeutet: Jede Wahrnehmung zählt.
Jede Stimme wird gehört.